Domcenter Linz
Linz, Austria
Der Mariendom ist das prägende Wahrzeichen der Stadt Linz und dominiert mit seiner neogotischen Architektur das Stadtbild. Zwischen 1862 und 1924 erbaut, ist er die größte Kirche Österreichs und ein zentrales Element im urbanen Gefüge. Doch mit dem strukturellen Wandel verliert die Kirche vermehrt an gesellschaftlicher Relevanz – ein Umstand, dem die Diözese Linz mit Innovation begegnet: Mit dem neuen Domcenter an der Ostseite positioniert sich der Mariendom architektonisch und funktional neu. Der Zubau öffnet die Kirche zur Stadt und versteht sich als Schnittstelle zwischen sakralem Raum und urbanem Leben. Die Architektur des Domcenter greift historische Formen auf und entwickelt diese zukunftsweisend weiter: Die aus drei Baldachinen bestehende Dachkonstruktion zeigt, wie mittels einer tragenden und dennoch leicht wirkenden Betonstruktur sensibel im denkmalgeschützten Kontext weitergebaut werden kann.
Allgemeine Projektbeschreibung:
Der Linzer Mariendom versteht sich als Ort der Liturgie, als Kunst- und Kulturort und als Ort der Vermittlung. Mit dem Domcenter erhielt das neugotische Bauwerk 2024 eine zeitgemäße Ergänzung, die sakrale und weltliche Funktionen verbindet. Gleichzeitig wird der Domplatz mit diesem Impuls belebt und entwickelt sich zu einem neuen Anziehungspunkt im Stadtgefüge.
Auseinandersetzung mit der Bausubstanz und dem Kontext: Nach der umfassenden Erneuerung des Domplatzes (2009) und der Umgestaltung des Altarraums (2017) wurde 2024 zum hundertjährigen Weihejubiläums, mit dem neuen Domcenter eine weiter architektonische Ergänzung des Mariendoms realisiert. Der Anbau dockt als barrierefreier Zugang an der Ostseite des Doms an und belebt den Domplatz an seiner bisher unattraktivsten Stelle als neuen Anziehungspunkt. Das Domcenter führt Besucher:innen über eine neu definierte Raumfolge (Domplatz – Domcenter – ehemalige Sakristei – Turmkapelle Ost) in die nordseitige Turmhalle und ermöglicht ein Erleben des Kirchenraums vom historisch korrekten Eingangsbereich aus. Städtebaulich ähnelt das Domcenter in seiner Dimension dem Annex der Dombauhütte an der Westseite und “vervollständigt” im Grundriss die Symmetrie des Doms.
Zusammenarbeit und Diversität der Projektbeteiligten: Die Verortung des Domcenters am Mariendom und dessen inhaltliche Ausrichtung als Infopoint und vielfältig nutzbarer Treffpunkt als auch die neue Raumfolge u.a. mit der Vermittlung des Domschatzes in der Turmkapelle Ost wurden in einem breit angelegten Prozess mit den zukünftigen Akteur:innen sowie den kirchlichen Vertreter:innen entwickelt. Die architektonische Ausformulierung des Zubaus und die Wahl der Materialien im denkmalgeschützten Kontext fand von Projektbeginn an in enger Abstimmung mit dem Bundesdenkmalamt und den verantwortlichen Dombaumeistern Wolfgang Schaffer und Michael Hager und der Bischof Rudigier Stiftung statt.
Intervention als Teil eines stimmigen Gesamtkunstwerks: Die Architektur des Domcenters greift historische Bezüge auf und transformiert sie in eine zeitgemäße Formensprache. Die Dachstruktur besteht aus drei Baldachinen, die an die Tradition leichter Zeltdächer anknüpfen. Gleichzeitig nehmen diese die Formensprache der Gotik auf: die umgekehrten Gewölbekonstruktionen wirken wie von der Fassade des Doms abgehängt und beinahe schwebend. Die Konstruktion der Baldachine besteht aus einer Doppelschale: Die untere, tragende Schale ist dreidimensional gekrümmt, um im Innenraum eine weiche, angenehme Atmosphäre zu schaffen. Die obere Deckschale ist zweidimensional gebogen und entspricht somit der Umkehrung der Spitzgewölbe in den Seitenschiffen des historischen Doms.
Nutzungskonzept und Flexibilität: Das Domcenter fungiert als einladender Zugang zur Kirche, vergleichbar mit dem Foyer eines Museums oder Konzertsaals. Besucher:innen werden durch ein modernes Café und einen Infopoint empfangen und von dort über eine neue Raumfolge zum historisch richtigen Eingangsbereich der Wegekirche im Norden geleitet. Im Inneren definiert ein geradliniger Tresen die Raumstruktur und führt die Besucher:innen durch die verschiedenen Bereiche. Das Domcenter vereint touristische und seelsorgerische Angebote und bietet zugleich einen flexibel nutzbaren Raum für kirchliche und nichtkirchliche Veranstaltungen. Der unterkellerte Bereich beherbergt Toiletten und Nebenräume. Ein neuer Aufzug verbindet die Geschoße und ermöglicht auch die barrierefreie Erschließung des Mariendoms vom Domplatz aus.
Materialien und Konstruktionen: Entsprechend der steinernen Hülle des Doms wurde eine technologisch höchst anspruchsvolle, frei geformte Betonkonstruktion gewählt, die eine schlanke Profilierung erlaubt. Aus denkmalpflegerischen Gründen wurde der Anbau konstruktiv vom Dom entkoppelt: Die drei Schalenkonstruktionen (zusammengesetzt aus mehreren Fertigteilen) ruhen jeweils auf einer Stütze und ragen vor der historischen Fassade nach oben, ohne diese zu berühren. Die feinen Baldachinstützen an der Längsfassade übernehmen lediglich eine Zugfunktion, um ein Kippen zum Dom hin zu verhindern. Die tragende Unterschale der Konstruktion sorgt für eine spannende Raumatmosphäre, während die obere Schale mit integrierter Wärmedämmung funktionale Aspekte erfüllt und formal an die Gewölbe des Doms angelehnt ist.
Statik, Bauphysik und Haustechnik: Durch die statische Entkopplung (siehe 5.) vom historischen Bestand ist der Zubau nach denkmalpflegerischen Vorgaben vom Kellergeschoß bis zur Dachkonstruktion reversibel ausgeführt. Einzig für den Einbau des Lifts, der alle drei Ebenen barrierefrei erschließt, wurde die ehemalige Sakristei im Kellergeschoß unterfangen.Überdies wurde in deren Außenwand durch die Dombauhütte ein Durchbruch als neuer Zugang hergestellt. Das Domcenter wurde an das städtische Fernwärmenetz angeschlossen, die Be- und Entlüftung erfolgt über Lüftungstürme in der Grünfläche des Domplatzes. Das bauphysikalisches der rückwärtigen Domwand Potential erkannt und genutzt. Die enorme Speichermaße des Sandsteinmauerwerks schützt vor sommerlicher Überhitzung und sorgt feuchtigkeitsregulierend für ein angenehmes Raumklima.
Sonstiges: Mit der Eröffnung des Domcenters startete die forschende Ausstellung “Faszination Mariendom” in der Turmkapelle Ost mit der Präsentation des Domschatzes. Die wertvollen Kunstwerke werden in einem Ausstellungsturm gezeigt und durch interaktive Elemente ergänzt. Ein integrierter Lift eröffnet den Besucher:innen zudem ungewohnte Perspektiven auf die sakralen Bildfenster. Kunsthistorische, sakrale und architektonische Inhalte zu den Bildfenstern, dem Planarchiv und den Materialien des Dombaus werden durch weitere interaktive Stationen in der Turmhalle und den Seitenschiffen vermittelt. Die Ausstellungsarchitekturen interpretieren formal die Ornamentik der Neogotik weiter und greifen das kürzlich entdeckte Einsteinmuster, das sich niemals regelmäßig wiederholt, auf.
- Arquitectos
- Peter Haimerl . Architektur
- Año
- 2024
- Cliente
- Bischof-Rudiger-Stiftung
- Equipo
- Gernot Baumann, Felix Meyer-Sternberg
- Architekt
- Studio Clemens Bauder













